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Karl begründete die Reihe der "römischen Könige"
Der ersten Auflage der „Aacher Chronick“ von Noppius (1632) sind fünf Stiche beigebunden, die manche dem Prager Künstler Wenzel Hollar zuschreiben wollen, was nicht gänzlich unwahrscheinlich ist, da dieser zu jener Zeit für die Kölner Verleger Atzenbach, Braun und Hogenberg arbeitete, aber damit auch noch nicht nachgewiesen. Eines der Bilder zeigt das Aachener Rathaus, worin der Buchstabe „B“ die Lage des Krönungssaales angibt. In der Erläuterung heißt es:
„Der Konigliche Sall, so 162 fuess lang und 60 fuess breidt ist, und wirdt nach der crönung eines Romischen Konigs daselbst das Konigliche Majestäts Gastmaal gehalten.“
Die Bezeichnung des mittelalterlichen deutschen Reiches als „römisch“ und die Bezeichnung der Könige als „Rooms Koning“ oder wie bei Noppius als „Romischer Konig“ hat seine Wurzeln in den Kaiserkrönungen der meisten der in Aachen gekrönten Könige in Rom. Die Kaiserkrönungen in Rom durch den Papst knüpften an die Kaiserkrönung Karls durch den Papst am Vorabend des Weihnachtsfestes im Jahre 800 an.
Karl setzte sich danach bewußt in die Tradition der römischen Kaiser. Die Frage ist:
Gibt es auch im karolingischen Aachen römische Bezüge?
Die aktuelle Archäologie entdeckt immer mehr Anhaltspunkte von römischen Großbauten. In den Grundmauern des Doms und im Granusturm beispielsweise wimmelt es nur so von römischen Spolien, d.h. von wieder verwandtem Baumaterial aus römischer Zeit.
Die örtliche Überlieferung muß Erinnerungen an eine römische Vergangenheit bewahrt haben, obwohl völlig unklar ist, wie das geschehen sein kann, und obwohl der Name der Ansiedlung in römischer Zeit als solcher nicht mit Zeugnissen aus römischer Zeit belegt ist. Allerdings ist der lateinische Name Aquae Granni in verschiedenen Schreibweisen, in verschiedenen grammatischen Formen und in der Kombination mit Palatium schon ab der karolingischen Zeit nachweisbar:
804 Aquisgrani
953 ad Aquas quod dicitur Grani
Das gefälschte Karlsprivileg ist zwar als Quelle für die überlieferte Gründung der Stadt durch Karl den Großen unglaubwürdig und falsch, da es eben erst ab der Zeit Barbarossas langsam zur Herausbildung einer eigenständigen Stadt am Ort der alten Königspfalz kam. Dieses in eine echte Urkunde inserierte (eingefügte) falsche Privileg erzählt aber:
Karl habe – verirrt bei der Jagd – zufällig am Platz des späteren Aachens den Palast eines römischen Fürsten aus dem julischen Kaiserhaus und einen heidnischen Tempel vorgefunden. Karl setzte sich dadurch in die Tradition des ersten römischen Kaiserhauses, daß er an dieser Stelle seine wichtigste Pfalz errichten ließ.
Die christliche Grundlage seiner Herrschaft dokumentierte er dadurch, daß er den Platz des heidnischen Tempel reinigen und an seiner Stelle der Gottesmutter Maria einen neuen Tempel, den heutigen Dom, errichten ließ.
genauer Wortlaut der Quelle und Übersetzung
Eine im späten 15. Jh. verfaßte Aachener Chronik faßt diese historisch verzerrte und legendenhafte Überlieferung mit einem Eintrag zum Jahre 770 wie folgt zusammen:
„Anno Domini nach gottes geburtt, als man schreiff 770 off dahrbey, doh ist die statt Aich, genant Aquisgranum, aengehaven und von keyser Carll, noch doen wasz ein Koenigh in Frankreich, gefundiert und doh beginnen ein statt zu werden und isz noch van ihme so verhohet dat Aichen isz ein haubt aller steden in Gallia und Allemanien. Ehver dat erste aenbegin dat sey alde erste von Grannus, die van rhomischen herren und edelen isz gewest, isz gebawet und bewohnt. Dat isz geschieht doe man schreiff nach Gottes geburtt 70 jahr und also seint tüschen den beiden seithen Granus und tüschen keyser Carll gegangen 700 jahr dat die platz isz wüst und unbewontt gewest und geblieven. Wie Granus die platz hait gesucht und dah gewonnt ein weill zeit, dah fint man in den alten historien und wie ehnu keyser Carll diesselbe platz hait gefunden und doh sein wohnunge und pallaysz hait gebawet und sonderliche lieffden und gemühden uff dieser statt hait gehatt, dat her alletzeit gerne hie was und allgemeinlich des wintters in diese wohnunge bleiff ligen alsz he dadurch die andere zeitt des gantzen jahrs in andere landen hadde gereist off gestreden, das stehet alles in seine legenden und historien.“
[Original: Ms Boruss. Quarto 260, Acessio 3261 Königliche Bibliothek Berlin; Druck: Hugo Loersch, Aachener Chronik, aus einer Handschrift der königlichen Bibliothek in Berlin, AnnHistV Bd. XVII (1866), S. 1 ff.]
Das Motiv der kultischen Reinigung der vorgefundenen römischen Bauten oder Ruinen von Spuren heidnischen Lebens taucht in einer Legende auf, die sowohl mit Karl als mit seinem Vater Pippin als Protagonisten erzählt wird:
>>Dem Kaiser sei von einem alten römischen Bade mitten im Aachener Talkessel berichtet worden. Das Wasser sei verschmutzt und die Anlage von einer fettigen, schmierigen Schicht überzogen. Auch treibe dort ein Ungeheuer sein Unwesen. Der Kaiser habe unerschrocken selbst mit Hand angelegt, die Anlagen und das Wasser gereinigt, so daß er das Bad anschließend mit seinem Hof als Heilbad habe in Nutzung nehmen können.<< (erzählt in Anlehnung an W. Dithmar, Der große Aachener Sagenkreis, Aachen 1957, S. 10f.)
Es ist unklar, seit wann diese Legende überliefert wird.
Das Unwesen erinnert übrigens an das Bahkauf, daß nahe der alten Kaisertherme lokalisiert wird, obwohl sich zum Bahkauf auch eine andere Überlieferung heraus gebildet hat. Die Verschmutzung und Reinigung kann man in Verbindung bringen mit Vorgängen, wie sie sich bei der kultischen Reinigung und christlichen Umwidmung alter heidnischer Sakral- und Opferpätze abgespielt haben mögen.
Kommen wir zum Schluß wieder auf den Kupferstich von 1632 zurück. Dieser enthält unter „A“ zum Granusturm, dem östlichen Rathausturm, folgenden Text:
„GRANI Thurn, welchen ein Romischer Furst GRANUS, ein Bruder NERONIS und AGRIPPAE anfenglich erbawt und ist dieser Thurn neben etlichen zerfallenen Furstlichen Palasten von Keyser Carolo Magno der zeit in die wustenbusch bey den darbey auhsquellenden warmen Fonteinen erfunden, und hat die Stadt Aachen vom Thurn und warmen wassern den Namen AQUISGRANUM.“
Man kann also durchaus das römische hinter dem mittelalterlichen Aachen entdecken, wenn man nur genau genug hinsieht:

Blick auf das Westwerk der alten Königskapelle, am rechten Rand des Bildes ist noch die Ecke der Taufkapelle an der Südwestecke des Domhofes zu erkennen.

Wenn man näher hinschaut, kommt die Erleuchtung.

Links oberhalb der Taufkapelle ist eine römische Inschrift auf einer Spolie [wieder verwandtes römisches Baumaterial] sichtbar. (Anm.: Hier kann allerdings keine abschließende Aussage dazu gemacht werden, ob diese Spolie schon zu Karls Zeiten verbaut worden ist. Das karolingische Atrium und mit ihm die Taufkapelle haben im Mittelalter und in der Neuzeit mehrere bauliche Änderungen erfahren.)