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Geschichte der Reichsstadt Aachen im 17. und 18. Jh. wahrlich kein Lehrstück für Demokratie
An der Spitze von Rat und Verwaltung der Reichsstadt Aachen standen zwei Bürgermeister, der aus dem Kreis der „normalen“ Bürger gewählte Bürgerbürgermeister und der Schöffenbürgermeister, der aus dem Kreis der stadtadeligen Familien zu wählen war. Die Bürgermeister wurden jährlich gewählt und standen nach Ablauf der Wahlperiode als sogenannte „abgestandene Bürgermeister“ beratend und häufig auch für andere Ämter zur Verfügung. Die unmittelbare Wiederwahl war unzulässig. Dieses Verbot konnte aber durch „Platzhalter“, die pro forma oder als Strohmänner an die Stelle der „abgestandenen“ Bürgermeister traten, faktisch über längere Zeit unterlaufen werden.
ZAGV- Aufsatz zu den reichsstädtischen Bürgermeistern
So gab es mehrere mächtige und einflußreiche Bürger, die z.T. über ein paar Jahrzehnte die Geschicke der Stadt lenken konnten:
1673 bis 1693 regierte Johannes Chorus u.a. mit Hilfe von Johann Bertram von Wylre oder Johann Wilhelm von Olmüssen, genannt Mülstroe.
1725 bis 1755 regierte Martin Lambert de Loneux mit Hilfe von Theodor Oliva . Er wurde übrigens 1787 von der unten genannten Kommission des Reichskreises festgenommen und mehrere Monate in Haft gehalten.
Wesentlich kürzer regierte Johann Lambert Kahr mit Hilfe von Cornelius Chorus (von 1763 bis 1769).
Alte Namen konnten später wieder auftauchen – und das sogar gemeinsam wie z.B. 1665 Gerlach Maw und Niklas Fiebus und 1695 Matthias Maw und Balthasar Fiebus.
Im politischen Streit bildeten sich Parteiungen heraus, die unter den Namen „Alte Partei“ und „Neue Partei“ gegen einander zur Wahl antraten. Nach langer Zeit des Machtmißbrauchs wurde das Obsiegen der Opposition oft begeistert gefeiert, obwohl diese sich alsbald nach Übernahme der Macht ähnlicher Machenschaften bediente.
Eine freie, geheime, gleiche und unmittelbare Wahl kannte man noch nicht. Vielmehr wurden in den beiden Wochen vor der Vereidigung des Magistrates im Rat über die Gaffeln (Zünften) mittelbar Vertreter in den Rat gewählt, die dort dann den Magistrat zu wählen hatten (Bürgermeister, Werkmeister, Baumeister, Weinmeister, Rentmeister und Neumänner). Obwohl die Zünfte ungleich groß waren, entsandten alle Zünfte die gleiche Anzahl an Ratsvertretern. Die den Stadtadeligen vorbehaltene Sternzunft hatte deutlich unter hundert Mitglieder, während die Zünfte der einfachen Handwerksberufe über 1000 Mitglieder haben konnten. Damit verschob sich das Gewicht der einzelnen Stimme ganz erheblich. Damit nicht genug. Bei den Wahlen wurde es üblich, durch Freibier für die Zunftversammlungen, Bestechung und Freiheitsberaubung Einfluß zu nehmen. Man stellte z.B. während der Sitzungen sogenannte Klüppelmänner vor die Häuser derjenigen, von denen man erwartete, daß sie „falsch“ abstimmten.
ZAGV- Aufsatz zu den reichsstädtischen Mäkeleien
In den Wahlkämpfen tauchten Schmäh- und Anschuldigungsschriften auf, die man – wenn möglich – gleich verbot und demonstrativ verbrennen ließ. War die Opposition jedoch schon im Rat vertreten, konnte sie konkrete Kritik insbesondere über die Vergeudung öffentlicher Gelder und Mißwirtschaft vorbringen.
Aus dem nachfolgend auch bildlich wieder gegebenen Verbot von Wahlmanipulationen im Edikt des „Kleinen Raths vom 4. Maji 1781“ ist weniger zu entnehmend, daß diese effektiv unterbunden werden konnten, als daß aller Anlaß bestand, derartige Mißbräuche als fragwürdige Methoden zu brandmarken: “.., welcher gestalten bey den Wahlen der Zünften die Stimmen-Werbung soweit übertrieben werde, daß solche unmittelbar vor der Wahl, und gar auf dem Wahl-Ort selbst mit Geldes Darbietung ohne Scheu angekauft worden, dieses wider alle gute Ordnung gerad anlaufendes Unweesen aber auf keine weise zu dulden; Also wird solches nicht allein, sondern auch sonsten und überhaupt zu jeden Zeiten alle Geldes Anbiet- und Annehmung zur Votirung hiermit ernsthaft untersagt, dergestalt daß der Anbieter so wohl als der Annehmer des Activen und Passiven Stimm-Rechts eo ipso verlustig – auch nach Beschaffenheit der Sachen noch fernere Obrigkeitliche Ahndung wider selbige vorbnehalten seyn solle…“
Bürgermeister Peter Balthasar Strauch, der der Neuen Partei zugehörte und 1756 zusammen mit Johann Wespien antrat, sah sich 1763 in einer solchen Situation genötigt, sich für seine mehrjährige Tätigkeit als Werkmeister und Bürgermeister zu rechtfertigen:
Er habe weniger Geld für den Straßenbau ausgegeben als seine Vorgänger, obwohl der Bau der neuen Chaussee (wohl die Lütticher Straße) in seine Amtszeit gefallen sei. Auch habe die „Baucammer“ unter ihm weniger Geld für städtische Hochbauvorhaben ausgegeben. Bei der Mannschaftsstärke und Ausstattung des städtischen Militärs habe er sich als Maßstab an den notwendigsten Ausgaben orientiert. Er habe höhere Steuereinnahmen erzielt und habe auch die über lange Jahre angestiegenen Kassenreste strikt beitreiben lassen.
Es nutzte nichts, die Alte Partei und Johann Lambert Kahr setzten sich durch.
Druck der Verteidigungsschrift
Seit 1786 waren die Parteistreitigkeiten so heftig, daß Hilfe von außen gesucht werden mußte. Der Wiener Reichshofrat restituierte die Alte Partei unter Cornelius Chorus und Stephan Dominikus Dauven.
1787 endlich wurden vom Rheinisch-Westfälischen Reichskreis zur Wahrung der Ordnung 300 kurpfälzische Soldaten nach Aachen verlegt. In Aachen trat eine Kommission zusammen. Deren Vorsitzender, der Königlich-Preußische Geheime Kreisdirectorialrath Christian Wilhelm von Dohm, legte schließlich 1790 den Entwurf für eine „Verbesserte Constitution der Kaiserlichen freyen Reichsstadt Aachen“ vor, der auch in die französische Sprache übersetzt und gedruckt wurde. (Das Bistum Lüttich gehörte zum Reichskreis und in Lüttich bestanden wohl auch ähnliche Probleme). Die Vertreter Kurkölns und der Kurpfalz in der Kommission billigten den Entwurf nicht, wie er auch in der Bürgerschaft mehr oder weniger abgelehnt wurde. Der Kommission wurden eine Vielzahl von Verfassungsentwürfen aus der Bürgerschaft, aus den Zünften und dem Rat vorgelegt, von denen der Entwurf von Peter Josep Franz Dautzenberg (* 1769, + 1828, Stifter des Grundstocks der Stadtbibliothek) wohl der fortschrittlichste war. Am 17.2. 1792 erließ das Reichskammergericht in Anlehnung an Dohms Entwurf, jedoch in wesentlichen Punkten abgeschwächt, eine durchaus noch moderne und fortschrittliche Verfassung für Aachen. Da aber bereits Ende November die französischen Revolutionstruppen zum ersten Male in Aachen einmarschierten, hatte das keine praktischen Auswirkungen mehr.
Der Druck der verbesserten Verfassung wurde von der Universitätsbibliothek Göttingen gescannt und als Download (10 MB) ins Netz gestellt.
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Weitere Arbeiten zur Mäkelei und zur Verfassungsdiskussion:
Bausch, Gustav, Die Mäkelei in der Reichsstadt Aachen, Diss. Marburg 1910
Beckers, Philomene, Parteien und Parteienkampf in der Reichsstadt Aachen im letzten Jahrhundert ihres Bestehens, ZAGV 55, 1933/34, S. 1-40
DownloadderDissvonBeckers,33MB
Carl, Horst, Die Aachener Mäkelei 1786-1793. Konfliktmechanismen in der Endphase des Alten Reiches, ZAGV 92, 1985, S. 103-188
Cronenberg, Franz Peter Eduard, Die Mäkelei oder Stadtrathswahlgeschichten aus dem vorigen Jahrhundert, Ein Beitrag zur Geschichte der Verfassungskämpfe in Aachen, Aachen um 1882
Foltz, Rolf, Die Verfassungsdiskussion in der Reichsstadt Aachen 1786 – 1792, Manuskript Aachen 1990
Heusch, Gerhard, Die Aachener Verfassungskämpfe von 1786 – 1792, jur. Diss. Köln-Leipzig 1927