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Karl der Große und die Ballade von den Aachener Bahnhöfen

[Hinweis: Die zur Ballade thematisch passende Lithographie entstammt nicht der Simmrock´schen Sammlung.]
Der Kaiserschatten an der Ruine Frankenburg bei Aachen.
Die nachstehende Ballade stammt aus „Rheinlands Wunderhorn. Sagen, Geschichten und Legenden … gesammelt v. C. Trog. Bd. 13: Aachen u.Umgegend, Essen u. Leipzig (Silbermann) o.J.[ca. 1890], S. 101-104:
Wo Alt-Frankenburg die Türme,
von der Well‘ umringt,
hebet in das Reich der Stürme
und den Wald durchdringt,
wo aus trübem See mit Trauern,
der an Felsen grenzt,
heben sich bemooste Mauern,
die der Efeu kränzt.
Dort noch raget eine Linde,
die viel Äste sprießt
und am hohen Stamm die Rinde
sich zur Grotte schließt.
Drinnen sitzt der graue Kaiser,
Karol reich geschmückt;
oft hat man durch Blatt und Reiser
ihn zur Nacht erblickt.
Und das Haupt des Kaisers zieret
goldner Krone Pracht;
und die tapfre Rechte führet
seines Zepters Macht.
Und die Linke, fest gestützet,
läßt vom Schwerte nicht,
und sein Sternenmantel blitzet
wie ein Zauberlicht.
Und so sitzt er dort und sinnet,
wie im tiefen Traum;
denkt der Zeit, wo er geminnet
hier am Wellensaum.
Läßt auch oft das Hüfthorn schallen
durch die finstre Nacht,
und beginnt mit den Vasallen
dann die wilde Jagd.
Einst, als um die zwölfte Stunde
die Abtei-Glock‘ brummt, [aus Burtscheid!],
nah und fern, weit in der Runde
widerhallend summt,
bei des Mondlichts stiller Feier,
aus des Waldes Rand
schritt des Kaisers Schatten freier,
bis im Thal er stand.
Und den Gruß die Waldung rauschte,
zu des Kaisers Ehr‘,
und mit Ehrfurcht sie dann lauschte,
was des Herrn Begehr ?
Und er rief mit Donner-Stimme,
dass der Wald erklang,
und der Schall von seinem Grimme
selbst die Burg durchdrang.
„Sind es Riesen, die hier leben ?
Ha! zu kühn fürwahr,
dass sie Hügel dort erheben,
wo einst Fläche war!
Will man mir den Weg verbauen,
höhnen uns’rer Macht ?
Ihr sollt sterben, sollt nicht schauen,
dass der Morgen tagt!“
„Wacht, ihr Helden, auf zum Streiten!
Frischen Mut gehegt!
Schart euch, Ritter, auf! Wir reiten,
suchen was sich regt!
Keiner darf uns hier entkommen;
haut nur tapfer drein!
Keiner werd‘ in Haft genommen,
tot muss jeder sein!“
Wie er nun das Wort gesprochen,
schnell sein Heer sich zeigt,
scheint der Wald von Licht durchbrochen,
das der Erd‘ entsteigt.
Und es schwebt in lichtem Glanze
jetzt ein Geist herauf;
ihn erblickt das Heer, das ganze,
starrt im schnellen Lauf.
„Kaiser!“ spricht er, „bin der Meister,
der den Dom erbaut;
sage dir, nicht Ries‘ noch Geister
haben sich’s getraut.
Aachens Bürger sind die Kühnen! –
Das heißt Eisenbahn!
Dort die Eisen nennt man Schienen,
jetzt hör‘ weiter an:
Über tiefe Schlünde strebet
kühn ihr Brückenbau,
und auf nied’rer Fläche hebet
Sich die Weghöh‘, schau!
Auch durch Erd‘ und Felsen dringet,
wo Gebirg sich türmt,
dieser Weg, der Bogen schlinget,
wo die Woge stürmt.
Wagen fahren auf dem Wege
mit der größten Last;
schnell als ob ein Adler flöge,
geht es sonder Rast.
Und dass dich die Aach’ner ehren,
ist dir wohl bekannt,
denn ihr Weg, ohn‘ dein Begehren,
Karls-Bahn ist genannt.“
Da nun sprach erstaunt der Kaiser:
„Nun, das ist ja schön!
Unsre Nachwelt wird stets weiser,
mögen’s gerne seh’n.
Freut uns, wie die Aach’ner schalten
mit Erhabenheit,
dass sie noch auf Kunstsinn halten,
wie zu Uns’rer Zeit!
Ruft, ihr Krieger, hoch soll leben
uns’re Kaiserstadt;
mögen Glück und Segen heben,
was im Schild sie hat!“
Sprach’s, und tausend gold’ne Becher
teilten Knappen aus,
Karol und sein Heer als Zecher
brachten Toaste aus!
Doch da schallt vom Klosterturme
Eins auf Mitternacht,
und verschwunden wie vom Sturme
ist die Geisternacht.
Und verschwunden ist der Kaiser,
sind die Krieger all,
und im Walde tönt es leiser,
schlägt die Nachtigall.